Die Schülerinnen und Schüler des Leistungsfachs Geschichte waren am 13. Juli 2023 mit ihrer Lehrerin Dr. Ulrike Denne im Oberndorfer Stadtarchiv und haben zum Dritten Reich in Oberndorf geforscht. Madeleine Klink hat bei dieser Gelegenheit ein kleines Interview mit Stadtarchivar Simon Zimmermann erstellt, das Sie hier nachlesen können.

Interview mit Herrn Simon Zimmermann, Museum und Archivar Oberndorf a.N.
von Madeleine Klink
 
Madeleine: Herr Zimmermann, warum haben Sie sich für den Beruf des Archivars entschieden?
 
Also richtig entschieden habe ich mich dafür gar nicht, da bin ich eigentlich eher so reingewachsen. Das greift jetzt schon so ein bisschen vor, auf das, was ich studiert habe. Ich habe eigentlich Geschichte studiert, dabei Spezialisierung auf Militärgeschichte und im Laufe des Studiums musste ich mich natürlich fragen, was mache ich eigentlich damit. Das war eine reine Interessensentscheidung, dieses Studium, und erst während des Studiums habe ich  mich dann ein bisschen darum gekümmert, welchen Berufsweg ich damit eigentlich einschlagen möchte. Ich habe während des Studiums beim Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg ein Praktikum gemacht. Das war mein erster Berührungspunkt, die Archivarseite kennenzulernen. Als Historiker arbeitet man sowieso mit Archiven zusammen, aber als Nutzer habe ich die andere Seite kennengelernt. Das erschien mir dann als Option nach meinem Studium.
 
Madeleine: Waren Sie, bevor Sie in Oberndorf gearbeitet haben, irgendwo anders als Archivar tätig oder haben Sie hier ihre erste Stelle als Archivar angenommen?
 
Ich war tatsächlich noch an einem anderen Ort. Ich habe den Master in Militärgeschichte in England gemacht, bin dann zurück nach Deutschland gekommen und bin dann erstmal in meine Heimatstadt, in Nord-Hessen, Bad Wildungen, eine Kurstadt, zurück. Diese kennt hier eigentlich keiner in der Region (lacht). Sie war während des Dritten Reiches mal der Hotspot für Kurgäste. Und danach nicht mehr ganz so wichtig und deswegen kennt die Stadt heute auch keiner mehr (lacht). Da war ich dann der Stadtarchivar, bin dann direkt in die Leitung eines Archivs eingestiegen. Das klingt allerdings etwas hochtrabend, ich war kleinstadttypisch einfach der einzige Archivar vor Ort, deswegen leitet man dann auch sofort ein Archiv. Ich hatte ja Vorkenntnisse im Bundesarchiv in Freiburg bekommen und das war dann mein Anfang im Archivwesen. Da war ich dann etwa zweieinhalb Jahre und bin dann nach Oberndorf gekommen.
 
Madeleine: Gibt es irgendetwas, das Sie am Oberndorfer Stadtarchiv besonders interessiert?
 
Interessant war für mich vor allen Dingen eine Verbindung zu meinem vorherigen Studium herzustellen, zur Militärgeschichte, und das ist hier durch die Doppelinstitution, mit zwei Überlieferungen, einerseits museal andererseits durch die sogenannte historische Flachware, Papierdokumente, Fotos, usw. im Archiv gegeben. Diese Verbindung hat mir einfach sehr gefallen. Das war für mich quasi auch eine Interessensentscheidung.
 
Madeleine: Haben Sie sich bewusst für die Stadt Oberndorf entschieden? Wenn Sie sagen, sie kommen aus Hessen, hatten Sie davor überhaupt schon einen Bezug zu Oberndorf?
 
Ja, eigentlich auch durch mein vorheriges Studium. Die Stadt Oberndorf war mir einfach bekannt durch die Industrie, die hat in den Weltkriegen schon gewirkt gehabt. Mauser vor allen Dingen. Und als diese Stelle hier ausgeschrieben worden ist, wusste ich, was da auf mich zukommt und dass das aufgrund von Studium und Interessenbereich zu mir passen wird.
 
Madeleine: Wie sieht der Alltag als Archivar aus? Wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
 
Das ist unterschiedlich. Wenn man auf der Kleinstadtarchivebene arbeitet, muss man sich einfach darüber im Klaren sein, dass man alle archivfachlichen Aufgaben bearbeiten muss. Je weiter man auf der Archivebene nach oben geht, desto mehr muss man sich auf bestimmte Einzelaufgaben spezialisieren. Hier muss man einfach alles machen. Das bedeutet dann im Klartext erstmal die archivarischen Grundaufgaben: Das sind Bewerten, Erschließen, Verzeichnen, Konservieren und historische Bildungsarbeit. Bewerten bedeutet zu entscheiden, was ins Archiv kommt. Eine ähnliche Entscheidung treffen wir auch in unserem musealen Sammlungsbereich. Erschließen bedeutet die inhaltliche Beschreibung des Sachgegenstandes vorzunehmen. Das hängt auch gleich in Zusammenhang mit dem Verzeichnen, also alles so zu dokumentieren, dass auch andere auf diese Informationen zugreifen können. Zum Beispiel in Form einer Datenbank. Konservieren bedeutet, die Dinge haltbar zu machen, möglichst bis in alle Ewigkeit. Alles, das wir in diese Institution aufnehmen, sei es hier im Museum oder im Archiv, wird dauerhaft aufgenommen. Es muss haltbar bleiben für die nächsten Jahrtausende. Das ist eine unserer Hauptaufgaben hier. Dafür zu sorgen, dass das passiert. Akten sehen beispielsweise nicht mehr so aus, wie sie früher eigentlich ausgesehen haben. Das sind nur noch lose Blattsammlungen. Wir befreien diese von allem, was sie in Zukunft schädigen könnte. Zum Beispiel auch Dingen wie Büroklammern. Außerdem nutzen wir spezielle Kartonagen, die alterungsbeständig sind, damit die Akten nicht mit der Zeit verblassen oder zerfallen.

Madeleine: Wir beschäftigen uns im Unterricht gegenwärtig mit der NS-Zeit. Wie schätzen Sie die Überlieferungslage in Oberndorf ein?
 
Also aus Archivarsicht sieht es eigentlich ziemlich gut aus. Wenn man als Nutzer rangeht, sieht man immer gleich die Lücken und ist bestürzt, dass so viel fehlt. Allerdings kenne ich jetzt schon mehrere städtische Überlieferungen aus dieser Zeit und keine davon ist lückenlos. Am Kriegsende, das muss man sich natürlich immer vor Augen führen, hat es eigentlich in jeder Stadt Versuche gegeben, möglichst viele Akten zu zerstören. Den Nazis war bekannt, dass sie Dinge getan haben, die ihnen nachgetragen werden. Deshalb versuchten sie natürlich Beweismittel zu vernichten. Das hat auch hier in der Oberstadt stattgefunden, kurz vor dem Einmarsch der Franzosen. Dabei sind natürlich große Teile des Schriftguts, das damals existiert hat, vernichtet worden. Bei uns sind es zum Beispiel die Ratsprotokolle. Die sind deswegen für uns wichtig, weil damit die politischen Einzelentscheidungen nachvollziehbar gewesen wären. Jetzt haben wir nur noch die normalen Aktenüberlieferungen. Das allerdings, was übrig geblieben ist, ist eigentlich immer noch relativ gut dazu geeignet, wenigstens exemplarische Einblicke in die damalige Zeit zu liefern. Wir können nicht mehr alle Hinrichtungen, die hier passiert sind, nachvollziehen, aber wir haben immerhin eine Akte, die eine ganze Reihe davon schildert.
 
Madeleine: Finden Sie es wichtig, dass wir uns im Geschichtsunterricht auch mit der Geschichte Oberndorfs beschäftigen anstatt nur mit den großen Ereignissen, die überall bekannt sind?
 
Also, das finde ich sehr gut. Das hätte ich mir in meiner Schulzeit eigentlich auch gewünscht. Der Schulunterricht, wie schon richtig gesagt, der beschränkt sich oft auf die großen Zusammenhänge, um ein paar Grundkenntnisse über diese zu vermitteln. Aber eigentlich ist es auch ganz hilfreich kennenzulernen, wie sich das in der Realität am eigenen Wohnort niedergeschlagen hat. Dann kann man wenigstens mal ein paar Details aus dieser Zeit erfahren. Vor allen Dingen auch das, das hier genauso war wie an anderen Orten oder das, das hier vielleicht ganz speziell war. Das ist eben gerade in Oberndorf mit der wichtigen Kriegsindustrie der Fall. Da hat es hier natürlich Ereignisse gegeben, die man in vielen anderen Nachbarstädten so nicht vorgefunden hat. Vor allem auch die massive Anwesenheit von Zwangsarbeitern in diesem Zusammenhang. So etwas zu erfahren und das auch mit den sehr eindrucksvollen Fotos, die wir ja haben, zu kombinieren, ist vielleicht eine Möglichkeit, von dieser etwas hohen abstrakten Ebene, die man normalerweise bei diesem Thema einnimmt, ein bisschen wegzukommen, um das einfach ein bisschen nahbar zu machen für die einzelne Person. Auch bezüglich Einzelschicksalen, die hier passiert sind.
 
Madeleine: Würden Sie weitere Besuche von Schulklassen bzw. Geschichte-Leistungskursen hier im Stadtarchiv begrüßen?
 
Ja, auf jeden Fall. Es gibt hier eine gewisse „Altersschlagseite“ bei uns in den Archiven. Die meisten Archivnutzer sind 65 oder älter. Das hat vielleicht auch den Grund, dass man erst da so richtig Zeit hat, sich damit zu beschäftigen. Die Leute sind oft im Ruhestand und schauen dann, mit was sie sich am Lebensabend noch so beschäftigen können. Einige entdecken so die Heimatforschung für sich, aber eigentlich ist das viel zu spät im Leben. Es macht bei Schulklassen schon Sinn, wie ich gerade eben geschildert habe. Wer sich für so etwas interessiert, für den ist das auf jeden Fall eine interessante Angelegenheit. Wir haben ja auch mit der Zeitungsüberlieferung, das ist bei uns einer der hauptgenutzten Bestände, auch die Möglichkeit, kleinere Einblicke in alle möglichen anderen Zeiten zu geben, auch über die Nachkriegszeit hinaus. Damit können wir sehr viele Bereiche bedienen.
 
Madeleine: Ist das Archiv für jeden offen?
 
Ja, es kann von jedem genutzt werden und ist kostenlos. Der einzige Kostenbereich ist die Zeit. Das muss man im Hinterkopf haben. Obwohl es heutzutage, aufgrund von Kopien, etc., wirklich einfacher geworden ist. Die meisten Nutzer kommen direkt mit dem Tablet oder mit dem Handy und fotografieren sich alles nochmal ab, damit sie zu Hause weiterarbeiten können. Das ist alles möglich.
 
Madeleine: Vielen Dank, das war es jetzt auch schon wieder, außer Sie wollen unbedingt noch etwas über das Stadtarchiv loswerden…
 
Also vielleicht noch etwas zum Bereich der Nutzung. Hier sollte man dazusagen, dass die meisten Leute nicht wissen, wie man ein Archiv nutzt. Da muss man erst reinwachsen und das ist wahrscheinlich auch die größte Barriere. Der Zeitfaktor, der einfach notwendig ist, um ein Archiv kennenzulernen und vor allem kennenzulernen wie Archive funktionieren. Sie funktionieren an jedem Ort identisch, aber bis man dieses System überhaupt erstmal verinnerlicht hat, kann viel Zeit vergehen. Wenn Menschen merken, dass sich eine größere Hürde aufbaut, wirkt das direkt wieder abschreckend. Wir versuchen zwar daran zu arbeiten, diesen Nutzungsbereich zu vereinfachen, aber gewisse Grundsystematiken, erschlagen einen anfangs einfach im Archiv. Ich spare heute mal ein bisschen aus, wie ein Archiv im Inneren aufgebaut ist und wie sich diese Bestände eigentlich strukturieren. Aber wir haben zum Teil schon etwas online gestellt, das man über unsere Homepage aufrufen kann. Aber selbst das ist oft schwierig zu erschließen. Deswegen finde ich es auch sehr wichtig, dass Schüler*innen relativ früh damit anfangen. Es ist keine Hürde, die unüberwindbar ist, aber man muss sich einfach ein bisschen damit beschäftigen!

Madeleine: Sehr interessant. Vielen Dank für das Gespräch!